Document (#33692)
- Author
- Walther, R.
- Title
- ¬Die "cacouacs" und der Baum des Wissens : Kein Pardon für Narren und Tyrannen: 250 Jahre Encyclopédie von Diderot und d'Alembert
- Source
- Frankfurter Rundschau. Nr.143 vom 23.6.2001, S.19
- Year
- 2001
- Content
- "Der Werbeprospekt tönte bombastisch: "Das Werk, das wir ankündigen, ist nicht mehr ein nur in Vorbereitung befindliches Werk. Das Manuskript und die Zeichnungen dazu sind fertig." Am 24. Juni 1751 erhielt der erste Textband das königliche Druckprivileg und war bereits vier Tage später auf dem Markt. Der Prospekt versprach ferner, bis 1754 acht Text- und zwei Bildbände zu liefern. Der Initiator des großspurig angekündigten Projekts war Denis Diderot, und das Werk trägt den Titel: Encyclopédie, ou Dictionnaire Raisonné des Sciences, des Arts et des Métiers, Recueilli des Meilleurs Auteurs (Enzyklopädie oder auf Vernunfterkenntnis gegründetes Lexikon der Wissenschaften, der Künste und der Gewerbe, gesammelt von den besten Autoren). Fünfundzwanzig Jahre später - 1776 - war das 1750 angeblich "fertige" Werk wirklich fertig und umfasste 17 Text-, 11 Bild-, 4 Ergänzungs- und 2 Registerbände - insgesamt 72 000 Artikel und 2800 Kupferstiche in 35 Bänden im Foli-Format mit durchschnittlich 1000 Seiten Umfang. Angefangen hat alles 1745 mit dem Vorhaben, Ephraim Chambers' zweibändige Cyclopaedia or Universal Dictionary of Arts and Sciences (1728) ins Französische zu übersetzten. Der Verleger und Drucker André Francois Le Breton erwarb zwar ein Druckprivileg, konnte aber die Finanzierung nicht garantieren.
Das Projekt gewann erst an Konturen, als Le Breton drei weitere Pariser Verleger für das Geschäft interessieren konnte. Als Herausgeber engagierten die vier Verleger 1746 Abbé Jean-Paul Gua de Malves, als Übersetzter Denis Diderot (1713-1784) und Jean Le Rond D'Alembert (1717-1783), einen glänzenden Astronomen und Mathematiker. Bevor die Arbeiten anfingen, zerstritten sich die Verleger mit Gua de Malves. Nun sollten Diderot und D'Alembert Herausgeber und Übersetzer werden. Das scheiterte zunächst daran, dass Diderot am 22. Juli 1749 nach einem berüchtigten Geheimbefehl ("lettre de cachet") verhaftet und in Vincennes inhaftiert wurde. Man hielt ihn - zu Recht, aber unbeweisbar - für den Verfasser der 1745 in Amsterdam anonym gedruckten Philosophischen Gedanken und traute ihm auch die schlüpfrigen Geschichten unter dem Titel Die indiskreten Kleinode (1748) zu. Während der Haft intervenierten die Verleger beim Kanzler d'Aguesseau. Dieser wie auch der Justizminister d'Argenson sahen in der Encyclopédie der philosophes" ein Projekt zum Ruhme Frankreichs und zur Schande Englands". Nach 103 Tagen kam Diderot wieder frei. Teile des Hofes und der Klerus beobachteten das Unternehmen Encyclopédie von Anfang an mit Misstrauen. Die Jesuiten vom Journal de Trévoux entdeckten im ersten Band ein Defizit: Es fehlten die Namen von Königen, Gelehrten, Heiligen", während viele heidnische Gottheiten" vorkamen. Sie machten die philosophes" unter dem erfundenen Wort eacouacs" zum Gespött. Noch 1952 charakterisierte die katholische Zeitschrift Études die Encyclopédie als die fürchterlichste Maschine, die jemals gegen die Religion in Stellung gebracht" wurde. Nachdem Abbé Jean-Martin de Prades - Autor des Artikels Gewissheit - in seiner Dissertation die These vertreten hatte, die Heilungen durch Jesus Christus glichen methodisch jenen des griechischen Arztes Äskulap, brach ein Sturm der Entrüstung aus. De Prades musste fliehen. Klerikale Einflüsterungen erreichten, dass der Staatsrat am 7. Februar 1752 gegen die ersten beiden Bände der Encyclopédie eine "scharfe Missbilligung" aussprach. Das war ein faktisches Verkaufsverbot, aber keine Rücknahme des Druckprivilegs. Man konnte nicht nur weiterarbeiten, sondern die Regierung bat die Herausgeber direkt weiterzumachen auch zum Schutz der Eigentumstitel der Subskribenten. Allerdings sollten künftig drei theologisch gebildete Zensoren jeden Artikel abzeichnen. Eingefädelt hatte das alles, wie Arthur M. Wilson, der beste Diderot-Kenner, gezeigt hat, Chrétien Guillaume de Malesherbes. Malesherbes war der Chef des Buchwesens und der Zensurbehörde - zugleich Freund und Förder der Encyclopédie.
Als Diderot in Gefahr war, verhaftet zu werden, bot der Oberzensor ihm an, die ,gefährlichen" Manuskripte dort aufzubewahren, wo sie am sichersten waren - im Büro der Zensurbehörde. Ich bin mit der Aufsicht von Schriftstellern, Wissenschaft lern und Autoren aller Art beauftragt; d.h. von Leuten, die ich liebe und schätze." Er verstand sich als Garant der "Ausdrucksfreiheit", weil "diese Freiheit ... stets mehr Vorteile als Nachteile" mit sich bringe. Diderot revanchierte sich kokett mit einer Verneigung vor dem Zensor im Artikel Librairie«. Gelegentlich gab Malesherbes Diderot Tips, wie ein Thema zu behandeln sei, ohne die Theologen auf den Plan zu rufen. Wenn die Macht Malesherbes nicht ausreichte, half diejenige dessen Vaters aus der war Innenminister. Beide konnten jedoch nicht verhindern, dass das Pariser Parlement« - ein Gerichtshof - ein weiteres Dekret gegen die Encyclopédie erließ. Am 6. Februar 1759 wurde die Verbreitung der bisher erschienenen sieben Bände verboten. Der königliche Staatsrat zog am 8. März 1759 nach und widerrief das Druckprivileg mit dem Argument, der Beitrag der Encyclopédie zum "Fortschritt der Wissenschaften und Künste" könne das irreparable Verschulden gegen die Sitten und die Religion nicht ausgleichen." Einige Monate später setzte die Kirche die Encyclopédie auf den Index verbotener Bücher und forderte die Gläubigen auf, die Bücher zur Verbrennung abzuliefern. Was zunächst wie eine Katastrophe für das Projekt aussah, erwies sich bald als Produkt systemtypischer Zweideutigkeit. Bereits 1755 ließ sich Madame Pompadour, die Favoritin unter den Mätressen des Königs, vom berühmten Maler La Tour porträtieren. Gar nicht diskret, sondern gut sichtbar im Bildhintergrund stand der vierte Band der Encyclopédie. Der oberste Zensor Malesherbes und sein Nachfolger verhinderten, dass die Weiterarbeit verboten wurde. Die zunächst geforderte Rückzahlung der Subskriptionsgelder wurde nicht angeordnet und die Herausgabe der Bildbände formell genehmigt. Malesherbes spielte jahrelang ein virtuoses juristisches Spiel mit den Begriffen "stillschweigende Erlaubnis", Duldung" und polizeiliche Erlaubnis". Zeitweise überlegte Diderot, die Encyclopédie unter dem Schutz des aufgeklärten preußisehen Königs Friedrich II. fortzuführen. Aber Voltaire riet davon ab, da es in Berlin "eine gewaltige Menge Bajonette, aber sehr wenige Bücher" gebe. Herausgeber und Verleger einigten sich darauf, die restlichen zehn Textbände zusammenzustellen, zu drucken und dann auf einen Schlag auf den Markt zu bringen. Das geschah 1772 unter den Augen der Polizei, der nicht entgangen sein konnte, wenn eine solche Riesenmenge von Büchern in Druckereien in Paris und in der Provinz gedruckt, gestapelt und transportiert wurde. Als fiktiven Druckort nennen die Bände 8-17 das damals preußische Neuchâtel auf der schweizerischen Seite des Jura." - Theme
- Informationsmittel
- Object
- Encyclopedie Diderot/d'Alembert
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