Document (#43894)
- Author
- Schulze-Pillot, R.
- Title
- Koalition und Mathematik
- Source
- Mitteilungen der Deutschen Mathematiker-Vereinigung. 2005, H.4, S.258-259
- Year
- 2005
- Content
- "Im Umfeld von Bundestagswahl und Koalitionsverhandlungen gab es viel Mathematik in den Zeitungen, vor allem die Quadratur des Kreises war in aller Munde. Aber der Reihe nach: Am 25. September wies Gregor Gysi den Bundeskanzler zurecht (FAZ.net): Schröders Anspruch, Kanzler zu bleiben, nannte Gysi "egomanisch". "Wenn sich Schröder auf eine große Koalition einläßt, muß er die Mathematik beherrschen." Vielleicht hat Schröder ja letzten Endes deshalb auf seine Mitwirkung beim Projekt Große Koalition verzichtet. Bevor es nun aber mit den Koalitionsverhandlungen richtig losgehen konnte, musste erst noch in Dresden gewählt werden, und da kam auch wieder die Mathematik (oder etwa nur das Rechnen?) ins Spiel. Volkes Stimme äußerte sich dazu im Blog von lautgeben.de: Warum der Wahlkreis 160 noch richtig spannend wird, konnte man schon vor der Wahl bei Wahlrecht.de nachlesen. Nachvollziehen können die aktuellen Rechenbeispiele wohl nur Mathematiker oder Menschen mit vergleichbar abstrusen Neigungen: Via Zaister im Chat. Mmh, Zaister ist Mathematiker, oder? Also nicht, dass ich nun wieder missverstanden werde, selbstverständlich sind Mathematiker liebenswerte Menschen ... Die mutige Verteidigung unserer Berufsgruppe gegen den Vorwurf abstruser Neigungen riss allerdings leider alte Gräben wieder auf: nordlicht says: September 22nd, 2005 at 13:53 Danke für die Klarstellung mit den Mathematikern als liebenswerten Menschen (die abstrusen Neigungen nachgehen) :-) Das was da oben steht, hat allerdings mit Mathematik nicht so wahnsinnig viel zu tun. Das ist mehr Rechnen. Bestenfalls angewandte (igitt) Mathematik. Für richtige Mathematik braucht man keine Zahlen mehr, höchstens für die Indices. ein Mathematiker.
Nach diesem Vorgeplänkel kommen wir aber nun zur höheren Mathematik. Eine optimistische Note gab es von Fritz Kuhn (die Grünen) in einem Interview mit der TAZ: TAZ: Bedeutet Ihre "permanente Sondierung" nicht die Quadratur des Kreises? Wie wollen Sie Linkspartei-Wähler überzeugen und gleichzeitig Bündnisse mit der Union ausloten? Fritz Kuhn: Die Quadratur des Kreises ist doch ein attraktives Projekt. Im Ernst: Natürlich ist das nicht einfach, aber zum Beispiel unsere Strategie "Weg vom Öl" kann Leute auf allen Seiten überzeugen. Falls Herr Kuhn in einer späteren Regierung einmal Forschungsminister werden sollte, wissen wir jetzt jedenfalls, welche Projekte er für attraktiv hält. Dass die Sache nicht so einfach ist, wusste Roland Koch (FAZ.net, 3. 11.05): Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) sprach im Anschluß von anstrengenden und schwierigen Unterredungen. Sie seien aber konstruktiv gewesen. "Ich habe ihnen seit vielen Tagen gesagt, daß wir eine schwierige Diskussion führen, da es um Mathematik geht, wird sie auch nicht einfach." Dass mit der Mathematik nicht zu spaßen ist, konnte man auch im Berliner Tagesspiegel (13.11.2005) nachlesen: Aber natürlich wissen beide, dass auch noch so schöne Bilder nicht reichen werden zur Rechtfertigung, wenn die Leute demnächst in ihr Portemonnaie schauen. Nur, was hilfts? "Die Mathematik kann von niemandem auf dieser Erde außer Kraft gesetzt werden", sagt Merkel. Müntefering nickt. Die Frankfurter Rundschau hielt dagegen diese ganze Mathematik eher für Kinderkram (FR, 10. 11. 2005): Der Quadrateur Der designierte Vizekanzler Müntefering hatte beim SPD-Aufgebot fürs Kabinett viele Anforderungen zu bedenken VON KNUT PRIES (BERLIN) Die Quadratur des Kreises ist dagegen Kinderkram was Franz Müntefering bei der Mannschaftsaufstellung für die Koalition mit der Union alles berücksichtigen musste. war bruchlos kaum zusammenzufügen.
Derart vollmundige Ankündigungen waren vorab (ganz ohne Bezug zur Politik) schon vom Postchef Zumwinkel verurteilt worden (Financial Times Deutschland, 24.9.05): Das Geschäftsmodell der beiden Großverlage Springer und Holtzbrinck, die demnächst in die Briefverteilung einsteigen wollen, beurteilte Zumwinkel eher skeptisch. Zeitungen zusammen mit Briefen auszuliefern, sei die Quadratur des Kreises. Er habe schon einige vollmundige Ankündigungen gehört. Kinderkram oder nicht - Angela Merkel findet, dass es schwierigere Probleme gibt (siehe obigen Ausriss aus dem Berliner Tagesspiegel vorn 30.10.05). Der diensthabende Algebraiker merkt an, dass die Transzendenz der Zahl (3. Wurzel 4/3*Pi) ** (-1) die man für diese Aufgabe mit Zirkel und Lineal konstruieren müsste, natürlich zu der Transzendenz von Pi äquivalent ist, auch wenn es interessant und mysteriös wirkt, die Zahl 3. Wurzel 2 aus dem Delischen Problem der Würfelverdoppelung mit der Kreiszahl Pi oder gar deren dritter Wurzel zu kombinieren. Das Schlusswort zum Thema Quadratur aber gehört der Welt am Sonntag, die schon am 5.9.2004 zur Schulpolitik des Landes Bremen alles so klar machte, dass wir uns ausnahmsweise (bis auf die elementare Rechnung 1882 + 124 =?) alle Besserwisserei verkneifen müssen. Nur schade, dass der Artikel offenbar wenig gelesen wurde. Hamburgs Schulexperten können aber noch aus einem anderen Grund aufatmen: Mit Robert Heinemann, dem schulpolitischen Sprecher der CDUBürgerschaftsfraktion, verfügt die Politikerschaft der Hansestadt über einen wahrhaften Mathematikexperten und die Union über einen Mann, der, um eine legendäre Wendung des Ex-SPD-Generalsekretärs Olaf Scholz abzuwandeln, die Lufthoheit der Christdemokraten über den Mathematikunterricht an Hamburgs Schulen auf Jahre, wenn nicht auf Jahrzehnte hinaus sichern wird.
Was ist passiert? Heinemann hatte am vergangenen Dienstag die Öffentlichkeit per Presseerklärung wissen lassen, dass der Schulbehörde mit dem Zeitplan für die Schulentwicklungsplanung "die von der Bürgerschaft geforderte Quadratur des Kreises gelungen" sei. Lehrer und Eltern würden nun "so frühzeitig und umfassend wie nie zuvor eingebunden" und wüssten zugleich rechtzeitig vor der Anmelderunde Anfang des kommenden Jahres, was mit den jeweiligen Schulstandorten geschehen solle. Nun könnte man das Ganze als politische Geisterfahrt eines Parlamentsneulings abtun. Könnte man, hätte Heinemann nicht - quasi im Vorbeigehen - ein mathematisches Problem gestreift, an dem sich Wissenschaftler, glaubt man Wikipedia, der freien Enzyklopädie im Internet, über Jahrhunderte die Zähne ausgebissen haben. 1882 aber, und das ist nun auch schon 124 Jahre her, konnte Ferdinand von Lindemann beweisen, dass es unmöglich ist, nur mit Lineal und Zirkel ein Quadrat mit dem Flächeninhalt eines gegebenen Kreises zu konstruieren. Auf Heinemanns Fantasiewelt bezogen, bedeutet das: Die Bürgerschaft hat etwas gefordert, was nicht machbar ist, und die Schulbehörde unterbreitete daraufhin einen Verfahrensvorschlag, der zwar auch nicht machbar ist, sich aber gut vermarkten lässt. Allerdings hat Lindemanns Beweis viele "Freigeister" nicht daran gehindert, sich immer wieder der Quadratur des Kreises anzunehmen. Die Nutzlosigkeit dieser Arbeit, heißt es bei Wikipedia, habe deshalb die Wendung als Metapher bekannt gemacht. So wird diese als ein Synonym für ein Unterfangen genutzt, das von vornherein zum Scheitern verurteilt ist. Angesichts dieser Erläuterung bekommt Heinemanns Presseerklärung eine ganz andere Bedeutung: Sollte er den Vorschlag der Behörde etwa für ein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen halten? Das wäre dann sicher eine Schlagzeile wert Epilog (www. tagesschau. de vom 23.11. 2005) Kleine Feier ganz privat Unmittelbar nach ihrer Wahl zog sich Merkel mit ihren Eltern und ihrem Bruder sowie ihrem Mathematiklehrer zu einer kleinen Feier im Nebenraum des Bundestages zurück. Ihr Mann, Joachim Sauer, zog es offenbar vor, die Wahl vor dem Fernseher zu verfolgen. Er gilt als öffentlichkeitsscheu und blieb der Ehrentribüne fern." - Field
- Mathematik
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